Das Glas ist halb voll mit Angst – und halb leer mit Vertrauen?

Die dunkle Seite der Arbeit: Angst, fehlende Wertschätzung und Fluktuation

Der Vergleich mit dem Glas ist so alt, wie die Denkweise dahinter. Halbvoll oder doch halbleer. Eine aktuelle Studie des DGB förderte durchaus erschreckende Detailergebnisse zu Tage. Knapp die Hälfte der Belegschaft traut sich nicht gegenüber ihrem / ihrer Vorgesetzten Probleme offen anzusprechen. Halbvoll mit Angst und halbleer mit Vertrauen?

Angst macht krank!

Eines vorweg: Angst und Stress machen krank – das ist klar. Zu stressbedingten Erkrankungen, Ausfällen und Unfällen gibt es zahlreiche Forschungen. Oftmals wird dabei nur die Individualebene betrachtet, also der/die Mitarbeiter*in: „Der war halt zu schwach.“ oder „Der ist im Burnout“ sind die lapidaren Diagnosen. Wenn einer von 1000 Mitarbeitenden in ein Burnout schlittert, ok – geschenkt. Dann war er vielleicht wirklich im falschen Job, und man könnte den Betroffenen gut mit individuellen Angeboten (Potenzialanalysen, Job-Coaching, etc.) unterstützen. Auf kollektiver Ebene sollten eigentlich die ArbeitnehmerInnen-Schutzgesetze (Ö: ASchG, D:  ArbSchG) vorbeugen. Neben den Dimensionen (1) Tätigkeiten und Aufgaben, (2) Arbeitsorganisation und -abläufen sowie (3) Arbeitsumgebung und -bedingungen stehen hier (4) die sozialen Beziehungen und das Arbeitsklima auf dem Prüfstand. Eigentlich sollte Arbeit so gestaltet sein, dass es – im Sinne des Gesetzes – zu weniger Arbeitsunfällen kommt (Unfallverhütung), und dass man dabei nicht krank wird. Eigentlich.

Das Arbeitsklima auf dem Prüfstand

Kommen wir zurück zur DGB-Umfrage „Prima-Klima?“. Sehr gute Werte ergaben sich bei der Frage nach kollegialen Unterstützungen. Immerhin 85 % gaben an, dass sie durch ihre Kollegen*innen unterstützt werden, wenn sie dies benötigen. Bei der Frage

Erleben Sie in Ihrem Betrieb ein Meinungsklima, in dem sich jeder traut, Probleme auch gegenüber Vorgesetzten oder dem Vorstand/der Geschäftsführung offen anzusprechen?

sieht es bei weitem nicht so gut aus. Knapp die Hälfte (44 %) der Befragten gab an, dass sie sich gar nicht oder nur in geringem Maß trauen, Probleme gegenüber ihrem/ihrer Vorgesetzen anzusprechen. In Kleinbetrieben (weniger als 20 Beschäftigte) sieht es mit 34 % um eine Spur besser aus.

Eine kleine Randbemerkung sei mir an dieser Stelle erlaubt. Man beachte das Wort auch in der Fragestellung. Dies suggeriert, dass man sich gegenüber Kollegen*innen traut, Probleme anzusprechen und die Frage ist, ob man sich dies auch gegenüber Vorgesetzten traut. Gerhard Polt´s „Der Ober sticht den Unter“ lässt grüßen.

„Ich hätte ja meinem Chef widersprechen können.

Aber das mach ich nicht.

Ich bin ja nicht blöd, weil der Ober sticht den Unter!“

Gerhard Polt, bayrischer Kabarettist, in „Der Gedanke“

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Wertschätzung. Etwa ein Drittel der Beschäftigte fühlt sich nicht oder zu wenig wertgeschätzt. Klar ist: Je schlechter das Betriebsklima eingeschätzt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Jobwechsels.

Mit den Statistiken ist es ja immer so eine Sache. Einerseits werden Extremwerte gefiltert und man bekommt einen guten Überblick. Anderseits sagen Statistiken oft wenig zu den tatsächlichen Zuständen in einzelnen Unternehmen aus. Dazu ein Gedankenexperiment. Stellen wir uns vor, dass die Verteilung nicht in jedem Unternehmen gleich ist. Wir nehmen also an, dass nicht in jedem Unternehmen 44 % der Beschäftigten Angst haben, gegenüber ihrem /ihrer Vorgesetzen auf Probleme hinzuweisen. Nehmen wir zwei Szenarien an, ein Worst-Case und ein Best-Case-Szenario.

Fatal-Szenario

Nicht ein Drittel sondern mehr als zwei Drittel traut sich nicht mehr Probleme offen anzusprechen. Entscheidungen werden erst  – wenn überhaupt – in langwierigen Sitzungen getroffen. Im Grunde genommen steht die Vermeidung von Fehlern im Vordergrund. Sollte doch einmal etwas passieren, versucht man es so gut es geht zu vertuschen …

„Wahrheit steht am Anfang des Vertrauens.

Je echter die Wahrheit , umso kürzer der Weg zur Verständigung.“

Søren Kierkegaard (1813 – 1855)

Ideal-Szenario

Im Alltagsgeschäft werden bei die wichtigen Entscheidungen alle Teammitglieder eingebunden. Dies geschieht in den wöchentlichen Team-Meetings, wo Entscheidungen durch systemisches Konsensieren (auch bekannt als Konsent-Entscheidungen) getroffen werden. Im Unternehmen hat man gemerkt, dass es für manche (v.a. auch neue Mitarbeiter*innen) schwierig ist ihre Meinung zu Ausdruck zu bringen. Es finden daher regelmäßig Kommunikationstrainings statt.

Ein aktive Vertrauenskultur verringert die Kosten für Recruiting und auch Fehler, die zu Projektabbrüchen führen können. Weiters wird die Arbeitsmotivation und -zufriedenheit der Mitarbeiter*innen gesteigert. Ebenso erhöht sich die Attraktivität als Arbeitgeber*in für Fachkräfte und Spezialisten*innen.

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