Wer (noch) nicht (zu)hören will, muss (erst recht) fühlen.

Mit diesem bekannten Sprichwort möchte ich Sie auf eine kleine Gedankenreise zum Thema Zuhören, Fühlen und Führen einladen.

In einem Training habe ich die TeilnehmerInnen gefragt, wie sie den Zusammenhang zwischen Führen und Zuhören sehen. Darauf meinte ein/e Teilnehmer/in: „Wenn ich Führungskraft bin, und spreche, dann müssen die anderen zuhören.“ Das ist grundsätzlich nicht falsch, nur fehlt der Nachsatz: „genauso wie ich meinen MitarbeiterInnen und KollegInnen zuhören muss.“

Die Theorie U geht von einem Paradigmenwechsel im Führungs- und Leadership-Denken aus. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass wir in einer VUCA Welt leben. VUCA ist die Abkürzung für Volatility (Unberechenbarkeit), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambivalenz). Manche Herausforderungen der modernen Arbeitswelt sind zu komplex und vielschichtig, dass man diese mit herkömmlichen Planungs- und Kontrollmechanismen (Plan-Do-Check-Act) bewältigen könnte. Oftmals reicht dies nicht aus, und man braucht andere Herangehensweisen, welche auf Vertrauen und Zukunftsgerichtetheit basieren. Leading from an emerging future – Von der Zukunft her führen. Ein zentraler Baustein dabei ist das Zuhören zu lernen, ja Sie haben richtig gelesen: dem Zuhören kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Im Folgenden stelle ich Ihnen die vier Ebenen des Zuhörens mit illustrierten Beispielen vor:

Zuhören 1: Downloading

Der Begriff ist nicht zufällig gewählt. Zum Downloading gehören bekannte Routinen und Gewohnheiten, wie eben das Bedienen einer Waschmaschine oder eines Geschirrspülers. Zum Downloading zählen auch Herausforderungen, welche mit einer einfachen Anleitung lösbar sind. „Wie füllt man die Kühlflüssigkeit bei meinem Auto nach?“ wäre hierbei eine klassische Fragestellung, welche sich z.B. mit einem fünf Minuten youtube Video lösen lässt. Downloading eignet sich auch gut für wiederkehrende Prozesse und Routinen mit bekannter Komplexität, bei denen die Bedingungen nur leicht variieren und diese sich gut in Checklisten, Anleitungen o.ä. zusammenfassen lassen. Zwischenfazit: Downloading reicht vom „wissen wir schon“, „haben wir gleich“ bis hin zum „haben wir bereits gelöst, hier ist die Checkliste“.

Dem Weg zur zweiten Ebene steht die Stimme des Urteils im Weg. Wenn man stets bei den alten Mustern und Denkgewohnheiten bleibt, und diese auch nicht ändern will, bleibt man auf der ersten Ebene hängen, weil „das haben wir immer schon so gemacht“.

Zuhören 2: Daten und Fakten – Öffnung des Denkens

Diese Art des Zuhörens konzentriert sich vor allem auf Daten und Fakten. Beim Zuhören auf der zweiten Ebene nimmt man bewusst Unterschiede und Widersprüche zum gewohnten wahr, und versucht diese Muster mit alten, gewohnten Mustern zu verknüpfen. Vorausgesetzt die Stimme des Urteils schlägt nicht mit einem „Kann nicht sein“ zu, findet auf dieser Ebene eine diskursive Auseinandersetzung (über Daten und Fakten) statt.

Die Stimme des Zynismus verhindert ein tieferes Eindringen. Zynismus und ähnliche Reaktionen können auch ein Schutzmechanismus sein, um sich nicht emotional in eine Sache vertiefen zu müssen und sich distanzieren zu können. Manchmal bleibt man aber auch beim „logisch ist es ja noch erklärbar, aber …“ bzw. dem Klassiker „das funktioniert sicher nicht, brauchen wir gar nicht weitermachen“ hängen.

Zuhören 3: Empathisch – Öffnung des Fühlens

Das Zuhören in der dritten Ebene setzt Fähigkeit zur Empathie voraus. Wenn es gelingt sich in die Perspektive der/des Anderen hineinzuversetzen, ist dies ein Anzeichen, dass man (möglicherweise) bereits auf der dritten Ebene angelangt ist. Ein zwar höfliches aber doch floskelhaftes „Ich kann dies gut nachvollziehen, wie es Ihnen/Dir geht, aber …“ erfüllt demnach noch nicht die Kriterien des empathischen Zuhörens. Solange ein „Aber“ dabei ist, heißt dies, dass man dies zwar akustische wahrgenommen hat, jedoch noch auf dem eigenen Standpunkt stehengeblieben ist (Anm.: Dies muss nicht bewusst oder gar boshaft sein). Bei einem authentischen und offenen „Ich kann gut nachvollziehen wie Ihnen / Dir geht, UND wie geht es Ihnen/Dir damit?“ hingegen, scheint der Perspektivenwechsel gut gelungen zu sein. „In den Schuhen des Anderen gehen“ oder „mit den Augen des Anderen sehen“ sind passende Bilder dazu. Die Voraussetzungen für einen Dialog auf Augenhöhe sind demnach gegeben.

Die Stimme der Angst ist die letzte und oftmals schwierigste Hürde auf dem Weg zum Presencing. Man glaubt den eigenen Zynismus

überwunden zu haben, und dann bekommt das „Aber“ die zweite Luft. „Eigentlich möchte ich Webdesigner werden, aber ob das Internet ausgerechnet auf mich gewartet hat?“, „Eigentlich wollte ich immer schon ein Buch schreiben, aber mich nimmt ja kein Verlag.“ Eigentlich-aber ist also eine sehr mächtige Wortkombination, welche auch eine Schutzfunktion erfüllt. Sie schützt uns vor Enttäuschungen, Fehlschlägen – sie schützt uns vor dem Scheitern, und sie schützt uns vor möglichen Erfolgserlebnissen. Kulturell gesehen haben wir im deutschsprachigen Raum einen Nachteil: Scheitern wird mit „du hast verloren“ und „wer einmal verloren hat, schafft es beim zweiten Mal auch nicht“ gleichgesetzt. Scheitern könnte auch positiver konnotiert sein, wie z.B. im Silikon Valley – „Es hat zwar nicht funktioniert, aber das ist doch der, der das mit den … probiert hat.“ Vielleicht braucht es zur Überwindung der Stimme der Angst die eine oder andere Inspiration, positive Unterstützung aus dem sozialen Umfeld (wie z.B. KollegInnen, FreundInnen, PartnerIn, Familie).

Vielleicht ist es hilfreich den Satz statt mit „aber“ mit „und“ zu vervollständigen. Vielleicht hilft ein „was ist, wenn doch“ oder ein „was ist, wenn ja“. Kommen wir noch kurz zum „eigentlich“. Das deutet darauf hin, dass man es „eigentlich“ schon weiß, nur sich noch nicht traut. Fazit: Wenn man die Stimme der Angst überwindet, könnten die Vorsätze „Eigentlich wollte ich immer schon ein Buch schreiben, und ich werde einen Verlag finden.“ oder „Eigentlich möchte ich Webdesigner werden, und ich werde als erstes wordpress ausprobieren.“ lauten, und der Weg zum Presencing wird geöffnet.

Zuhören 4: Presencing – Öffnung des Willens

Im Presencing versucht man das rein faktische Zuhören zu überwinden, aus dem empathischen Zuhören heraus etwas entstehen zu lassen, die möglichen Zukunftsszenarien erkennen: Loslassen – entstehen lassen – kommen lassen. Man könnte daher das Sprichwort „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam“ in „Wenn Du es eilig hast, versuche die Quelle aufzuspüren“ übertragen. Im Presencing ändert sich nicht nur die Sichtweise, die Perspektive, im Idealfall ist das Ergebnis einer solchen Begegnung, dass wir am Ende nicht mehr dieselbe Person sind, die wir zu Beginn des Gesprächs waren. Man agiert auf einem höheren Aufmerksamkeitslevel, und dies ermöglicht uns tiefer an die Quelle unseres eigenen (oder auch organisationalen) Selbst herzukommen – oder besser einzutauchen. „Wer möchte ich (wirklich) sein?“ (und nicht welche Rolle möchte ich spielen) und „Wo möchte ich Nutzen und Sinn stiften?“ sind hier die beiden zentralen Fragen.

Der Weg dorthin ist nicht unbedingt leicht. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass es funktioniert, und es ist auch nur bedingt planbar und kontrollierbar.

Für das Eintauchen in das vierte Level des Zuhörens – und somit auch für einen gelingenden U-Prozess – sind meiner Ansicht ein Klima des Vertrauens und ein hohes Maß an partizipativer Sicherheit unabdingbare Voraussetzungen. Ein hohes Maß an wahrgenommener partizipativer Sicherheit stellt sicher, dass Organisationmitglieder keine Angst vor möglichen Strafen und Sanktionen haben, sondern im Gegenteil dazu motiviert werden, gemeinsam die eigene Organisation weiter zu entwickeln. Die Theorie U kann somit hilfreich bei der Entwicklung von Individuen, Teams und Organisationen sein.

Update 2019:

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